Zdravko Haderlap – Künstlerischer Leiter, Projektentwickler & Bergbauer
Folge der Spur der Pečnik-Wiese
Während einer Rast bei der Kleeernte – ich war noch ein Kind – wies Großmutter mit ihrer hageren Hand über die Felder und sagte „Vse kar vidiš je moje in nič ni moje.“ (Alles, was du siehst, ist mein und nichts davon ist mein.) 30 Jahre später übernahm ich den elterlichen Bergbauernhof im beengten Graben und wurde notariell beglaubigt zum „Eigentümer“ u.a. auch der Pečnik-Wiese. Von da an musste ich lernen zu teilen, zuallererst mit der Familie, dann die Sprache der „Graperji“ (Grabenmenschen), die Straßen, Wege und Maschinen sowie Grundstücksgrenzen mit den Nachbarn, deren Lebensgeschichten, Denkweisen, Arbeit, Stolz, Freude, Leid, Betrübtheit, Verbitterung samt ihre leisen Hilferufen, die Liebe mit den Liebenden, das Essen mit den Nahestehenden, das Wissen mit den Besuchern, mit den Haustieren das Wasser, mit dem Wild den Wald, mit den Bienen den Honig, mit den Mäusen den Garten, mit den Insekten die Magerwiese, mit den Vögeln die Früchte, mit den Schafen die alte Sprache, die Neue mit der Jugend, das Lammfleisch mit den dankbaren Helfern, die Hühner (manchmal) mit dem Habicht, den Tag mit den lärmenden Menschengeräuschen, die Nacht mit den (aus dem Gasthaus) nach Hause Fahrenden und den Schreien aus der Tiefe, die Stille mit dem rauschenden Bach, den „Widerstandsgeist“ (Schnaps) mit den Freunden und Gästen, die Trauer mit den Trauernden – im oder ohne Gebet – das verdiente Geld mit Hilfsorganisationen und dem Staat, den Frieden und die Krise mit der Welt.
Die Türen und Tore der Nachbarn stehen zumeist noch offen, laden noch ein zum Gespräch. Wie lange noch? Der Blick über den Graben ist nicht mehr der meiner verträumten Kindheit, einer Landschaft, die mich aufnahm – wie ich glaubte. Zu viele Furchen und Narben an den Höhen und in den Senken, aufkommende Einsamkeit und Fremdbestimmtheit, gewaltvoll aufgerissene Schneisen und Brachflächen, verursacht durch Stürme, Käfer, Maschinen und durch Wucher, stehen zwischen ihr und mir.
Daher ist es an der Zeit, dass wir die Landschaft gewähren lassen, wie auch sie uns gewähren lässt – noch. Unser Verhältnis zu unserer Umwelt ist auf dem Prüfstand. Wir haben nur dann eine Zukunft, wenn wir lernen, die Natur in ihren komplexen Zusammenhängen zu sehen, zu lesen, zu begreifen und zu respektieren.
Das wissenschaftlich-künstlerische Projekt „graben//LANDSCHAFT//lesen – kopati//GRAPO//brati ist ein Versuch in diese Richtung.
Zdravko Haderlap lebt und arbeitet seit 2002 am Vinkl-Hof in Lepena bei Bad Eisenkappel/Železna Kapla in Südkärnten. Der Initiator bzw. Mitbegründer u.a. des Tanztheaters / Plesni teater IKARUS, Galerie Vorspann / Galerija Vprega, Forum Zarja, Choreografie Center Johann Kresnik Bleiburg / Pliberk, Denkwerkstatt / Kovačija misli Bad Eisenkappel / Železna Kapla oder der a-ZONE arbeitet als Bergbauer, Regisseur und Choreograf, Projektentwickler, Autor, Fotograf, Kommunikator, Kulturarbeiter und ist auch als Herausgeber sowie als Journalist tätig.